Lesen - wie funktioniert das eigentlich und wie nimmt das Auge die Informationen auf? Lesen Sie hier über eine der wichtigsten Kulturtechniken unserer Zeit und erfahren Sie, wie das Auge Texte schneller aufnehmen kann.
Alle tun es. Groß, klein, alt, jung. Ohne Lesen funktioniert unsere Gesellschaft nicht. Oder doch nicht? Vielleicht haben Sie ja Lust auf ein kleines Quiz. Finden Sie heraus, wie viele Analphabeten es in Deutschland gibt.
Wenn Menschen sich schwer damit tun, einzelne Wörter oder Sätze zu entziffern und ihnen einen Sinn zu entlocken, nennt man das Analphabetismus. In Deutschland waren das im Jahr 2011 erschreckende 4% unserer erwerbstätigen Bevölkerung. Das sind 2.000.000 Menschen. Hier berichtet die Zeit darüber: klick
Einfache Texte lesen oder schreiben - wem das nicht möglich ist, gehört zur Gruppe der funktionalen Analphabeten. Wir haben Schulpflicht in Deutschland. Das bedeutet, dass viele Menschen das Schulsystem verlassen, ohne ausreichend lesen und schreiben gelernt zu haben. In Deutschland sind das im Jahr 2019 12% der erwerbstätigen Bevölkerung, über 6.000.000 Erwachsene. 2011 waren es noch 7,2 Mio. Immerhin ist die Zahl also etwas gesunken. Quellen: klick und klick
Zunächst war die Antwort für Sie verborgen, doch mit einem Klick haben Sie sich die Lösung erschlossen. Menschen, die nicht lesen können, bleibt die Antwort unerreichbar, auch wenn sie klicken würden. Für Deutschland ist diese Zahl viel zu hoch. Beim Bundesverband Alphabetisierung können Sie spenden, um etwas dagegen zu tun: klick. Übrigens ist am 08. September weltweit der Tag der Alphabetisierung.
Lesen ist ein ungeheuer komplexer Vorgang. Schauen wir ihn uns doch etwas genauer an.
Wie das Auge liest
Genau jetzt vollbringen Ihr Auge und Ihr Gehirn Erstaunliches. Sie blicken auf geheimnisvolle Zeichen und es formt sich ein Sinn und eine Bedeutung.
Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten,
es war das Zeitalter der Weisheit, es war das Zeitalter der Dummheit,
es war die Epoche des Glaubens, es war die Epoche des Unglaubens,
es war die Saison des Lichts, es war die Saison der Dunkelheit,
es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung,
wir hatten alles vor uns, wir hatten nichts vor uns [...]
Das ist der Beginn eines Romans von Charles Dickens. Was ist da gerade geschehen - falls Sie die Zeilen in dem Kasten tatsächlich gelesen haben? Ihre Augen sind in Windeseile über die Zeilen gehüpft und haben vier oder fünf mal pro Sekunde kurz inne gehalten, um ein Bild entstehen zu lassen.
Wie ist das nur möglich, dass diese paar Striche vor Ihren Augen eine ganze Welt beschwören können?
Vielleicht stiegen Erinnerungen oder auch Assoziationen in Ihnen hoch und die Zeilen ließen Sie an etwas denken, woran Sie vorher nicht gedacht haben. Möglicherweise fanden Sie die Wiederholung der Zeilenanfänge langweilig oder Sie ließen sich einen winzigen Moment davon einlullen.
Was Sie hier tun, nennt sich Lesen und ist ungeheuer faszinierend. Es hat weitreichende Folgen für unser ganzes Menschsein, wie ich in einem weiteren Artikel beschreiben werde.
Es fällt Licht in das Auge. Ein Wort trifft auf die Fovea. Die Fovea ist die Sehgrube in der Mitte der Retina. Dort wird es zerlegt. Die einzelnen Bestandteile werden dann erst wieder zu Buchstaben, Wörtern, Sätzen, ganzen Büchern zusammengesetzt. So ist es uns möglich, erstaunlich unterschiedliche Schriften zu entziffern, die nur wenig gemeinsam haben.
Auch gute Schrifterkennungsprogramme sind immer noch fehleranfällig und entziffern nicht alles ganz sauber. Dagegen ist unser Gehirn im Zusammenspiel mit dem Auge wirklich zu Erstaunlichem fähig.
Wie viele Wörter pro Minute lesen wir
Wir wissen mittlerweile, dass es im Gehirn zwei Verarbeitungsstränge beim Lesen gibt:
Den phonologischen Weg und den lexikalischen Weg.
Wenn wir innerlich mitsprechen, was wir gerade lesen, dann sind wir auf dem phonologischen Weg unterwegs. Wir erkennen Buchstaben und verwandeln sie in Laute. Wir hören uns innerlich sozusagen selbst zu und erfassen dadurch, worum es bei dem Text geht.
- Wer beim Lesen ausschließlich den phonologischen Weg beschreitet, kommt mit der eigenen Lesegeschwindigkeit nicht über 200 bis 300 Wörter pro Minute hinaus. Na gut, das stimmt nicht ganz, denn ein erfahrener Auktionator kann mit bis zu 450 Wörtern pro Minute sprechen. Wenn so jemand innerlich mitspricht, wird er vermutlich auch auf dem phonologischen Weg etwas schneller lesen als der Durchschnitt. Das ist allerdings meine private These, denn ich weiß nicht, ob das schon überprüft wurde.
Beim Vorlesen sind wir übrigens noch langsamer. Wenn wir ganz normal miteinander sprechen, sind das ungefähr 150 Wörter pro Minute. - Der lexikalische Weg ist der zweite Verarbeitungsstrang und für mich als Schnell-Lese-Trainerin der spannendere. Wir verfügen nämlich - wenn wir schon eine gewisse Lesekompetenz erreicht haben - über ein inneres Wörterbuch. Darin ist der Sinn der Zeichen gespeichert, die auf unser Auge treffen. Der Zugang zu diesem Wörterbuch ist sowohl bewusst als auch vorbewusst. Das macht es uns möglich, weit schneller zu lesen als mit nur 200 Wörtern pro Minute!
Mit Schnell-Lese-Techniken kommen wir auf 1.000 Wörter pro Minute und mehr.
Fixationsspanne
Wie genau lesen wir? Oben hatte ich schon erwähnt, dass das Auge beim Lesen hüpft. Diese Sprünge nennt man Sakkaden. Dass wir mit Sakkaden lesen, bedeutet zweierlei:
Erstens ist das Lesen keine gleichmäßige Bewegung und zweitens erfassen wir bewusst immer nur einen kleinen Ausschnitt des Textes. Das liegt an der Fovea, der Sehgrube. Die Fovea deckt nur ungefähr 15 % unseres Sehfeldes ab und das ist der Bereich, in dem wir scharf und fokussiert sehen.
Daneben gibt es noch das periphere Sehen und wenn Sie Lust haben zu testen, wie weit Ihr Sehfeld tatsächlich ist, dann machen Sie mal Folgendes:
Tipp: So lesen Sie schneller mit größerer Fixationsspanne
Ok, zurück zum Lesen und zur Fixationsspanne. Wenn es so ist, dass unser fokussiertes Sehen nur einen kleinen Bereich erfassen kann und deshalb die Augen hin und her hüpfen, dann müsste es doch möglich sein, durch Augenmuskeltraining diesen Bereich zu vergrößern.
Sagen wir mal, wir hätten eine Fixationsspanne von 18 Buchstaben und eine Zeile hätte 50 Buchstaben, dann müssten wir dreimal hüpfen, um eine Zeile zu erfassen.
Wenn es nun gelingt, die Fixationsspanne auf 25 Buchstaben zu erhöhen, dann würden die Augen nur zweimal pro Zeile hüpfen müssen und wir sparen uns Zeit.
In einem Schnell-Lese-Training kann man das lernen, aber ich sage es Ihnen gleich: Das ist anstrengend, denn es ist eben Augenmuskeltraining. In meinen Trainings halte ich mich übrigens nicht allzulange damit auf, denn es gibt noch einen ganzen Strauß an anderen Möglichkeiten, um die eigene Lesegeschwindigkeit zu erhöhen.
Tipp: So lesen Sie mit "Spreed Speed read the web" Internetartikel schneller
Nun habe ich noch ein kleines Experiment für Sie: Probieren Sie mal eine Erweiterung im Chrome-Browser aus "Spreed Speed-read-the-web". Hier habe ich sie näher beschrieben.
Mit dieser Erweiterung können Sie sich die Wörter einer Website anzeigen lassen. Spielen Sie ein bisschen mit der Anzahl der Wörter, die Sie gleichzeitig sehen (Words at a time) und der Geschwindigkeit (Words per minute = WPM). Wenn Sie zu Beginn die Einstellung von 2 Wörtern gleichzeitig und 500 Wörtern pro Minute wählen, kommen Sie relativ leicht auf 1.000 Wörter pro Minute. Mir macht das immer großen Spaß. Das ist ein nettes Tool, mit dem Sie Ihre Fixationsspanne auch erweitern können, wenn Sie das trainieren möchten.
Für die scharfen Beobachter unter Ihnen: Ist Ihnen aufgefallen, dass auf dem Bild das "e" von "Konkrete Tipps" andersfarbig markiert ist? Das hat einen guten Grund: Unser gesamtes Lesesystem (Augen und Gehirn) ist perfekt an unsere gewohnte Leserichtung von links nach rechts angepasst, falls wir mit lateinischer Schrift aufgewachsen sind. Das Auge ruht beim Lesen daher nicht in der Mitte der Fixationsspanne, sondern ein bisschen weiter links, weil wir mehr Buchstaben rechts wahrnehmen können.
Nun können Sie sich mal kurz zurücklehnen und ganz gemütlich ein kleines Video anschauen, das Ihnen zeigt, wie schnell sich 450 oder mehr Wörter pro Minute anfühlen:
Wie lesen Sie auf zwei grundverschiedene Arten
Genuss-Lesen
Ich weiß nicht, wie oft Sie Gedichte lesen, aber können Sie sich vorstellen, so ein Gedicht mit Schnell-Lese-Techniken zu lesen? Um Zeit zu sparen, damit Sie in derselben Zeit noch 3 weitere Gedichte lesen können? Vermutlich nicht, das ist eine absurde Vorstellung.
Nun würde ich gerne anders herum fragen: Stellen Sie sich vor, Sie müssen einen langen Vertrag lesen, einen Gesetzestext oder einen Fachartikel. Würden Sie solche Texte genauso wie ein Gedicht lesen? Vermutlich nicht.
Merkwürdigerweise tun viele Menschen aber genau das: Sie lesen einen Text, bei dem es um Informationsaufnahme geht, mit denselben Techniken wie einen Text, den sie sprachlich oder inhaltlich genießen wollen.
Lesen zur Informationsaufnahme
Ich unterscheide beim Lesen sehr scharf zwischen Genuss-Lesen und Lesen zur Informationsaufnahme.
Wenn Sie im Beruf oder im Studium effizient lesen wollen, dann müssen Sie ganz zwangsläufig andere Techniken nutzen als bei einem Krimi.
Kurzum, zum Genuss-Lesen will ich hier nichts weiter sagen. Das soll bitte nicht optimiert werden.
Mir geht es als Schnell-Lese-Trainerin schließlich um das Lesen zur Informationsaufnahme, denn hier gibt es bei vielen Menschen viel Potential zur Stressreduktion. Damit Sie das gut verstehen, will ich Ihnen von einem Paradoxon erzählen:
Wie wir beim Lesen mit einem Paradoxon jonglieren
Bisher habe ich das Lesen hauptsächlich aus der Sicht des Auges betrachtet. Aus der Schnell-Lese-Perspektive finde ich es allerdings noch viel spannender, wie wir es schaffen, die Informationen aus dem Gelesenen herauszufiltern.
Vermutlich wissen Sie, wie ein Buch aufgebaut ist: Zuerst kommt eine Einleitung, dann folgt der Hauptteil und am Schluss steht der Schluss. Das klingt vielleicht trivial, aber ich möchte Sie darauf hinweisen, dass jedes Buch einem linearen Aufbau folgt. Es ist logisch aufeinander aufbauend gestaltet und ein Kapitel folgt auf das nächste.
In einem Bild sähe das ungefähr so aus:
So weit, so banal. Dennoch möchte ich Sie an eine weitere Selbstverständlichkeit erinnern. Wie ist unser Wissen im Gehirn abgespeichert? Es ist ein Netzwerk von wild miteinander feuernden Neuronen und Synapsen. Das Bild dazu kennen Sie sicher:
Folglich besteht unsere Aufgabe beim Lesen darin, aus einem 2D-Buch ein 3D-Netzwerk zu basteln. Dass das nicht immer reibungslos verläuft, wissen wir alle und daher sind Schnell-Lese-Techniken so entspannend. Sie lösen das festgezurrte 2D-Konstrukt des Buches auf und bereiten die Informationen gehirngerecht in 3D-Häppchen auf.
Unter dem Strich ist Schnell-Lesen weniger stressig, entspannter und erfolgreicher als konventionelles Lesen. Deshalb spreche ich gerne von dem Paradoxon des Lesens.
Lesen Sie wohl!
Ihre
Motion Reading ist eine systematisierte und moderne Schnell-Lese-Technik, mit der man wesentliche Informationen aus Texten ungewöhlich schnell erfassen und verarbeiten kann.